23.07.2010: Medien im Dunkeln

Vor der Computertastatur liegt eine Braille-Zeile zum Auslesen der Brailleschrift; mit einer Händen liest eine Person gerade einen Text. (Foto: Birgit Guggi)

Das digitale Medienzeitalter eröffnet uns unzählige Möglichkeiten. Doch wie gehen eigentlich blinde Menschen mit den neuen Medien um?

Der Bildschirm des Computers ist schwarz. Trotzdem sitzt ein junger Mann im gestreiften T-Shirt vor dem Gerät und tippt heftig auf der Tastatur. "Ich suche gerade eine Zugverbindung für meine Fahrt nach Hause", erklärt der 18-jährige Carlo. Er ist blind. "Vollblind. Von Geburt an." Durch eine Netzhautablösung konnte er nie sehen. "Ich sehe auch keine Schatten." Auf die Frage nach seiner Blindheit reagiert Carlo aber gelassen. "Für mich ist das kein Problem. Es ist viel schwieriger, wenn man erst später erblindet, weil man weiß wie es vorher war. Für mich ist das normal."

Derzeit absolviert Carlo eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme in der Nikolauspflege in Stuttgart, einer Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen. Nach 11 Monaten kann er seine Ausbildung als Kaufmann für Bürokommunikation beginnen. "Besonders wichtig ist uns die wachsende Verselbstständigung unserer Schützlinge. Deshalb ist auch ein sechsmonatiges Praktikum in die Lehre integriert", erläutert Oliver Bauer, Leiter der Kaufmännischen Ausbildung.

Sehen durch Hilfsmittel

Anders als man es sich vielleicht vorstellt, ist Carlos Arbeitsplatz kaum von dem eines Sehenden zu unterscheiden. Auf dem Schreibtisch steht ein Computerbildschirm, davor liegen Tastatur und Maus. Bis auf die Braillezeile und eine Punktschriftmaschine für Notizen würde auf den ersten Blick nichts darauf hinweisen, dass es sich um den PC-Arbeitsplatz eines Blinden handelt.

"Auf dem Computer ist eine Software, die die Braillezeile ansteuert. Dadurch kann ich alles ablesen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist", beschreibt Carlo die Besonderheit seiner Arbeitsgeräte. Jene Teile der Bildschirmseite, die per Cursor ausgewählt werden, sind auf der Braillezeile durch Punktschrift erfühlbar. Bilder können jedoch nicht in die Brailleschrift übersetzt werden. Zusätzlich gibt es noch ein Sprachausgabe-Programm, welches ebenfalls auf dem Computer installiert ist. "Ich mache eigentlich relativ viel mit der Sprachausgabe, weil ich dadurch einfach schneller bin als mit der Braillezeile." Die Stimme und Schnelligkeit des Screenreaders können variabel angepasst werden.

Was normalerweise Schwarz auf Weiß auf dem Bildschirm erscheint, lässt sich also mit den entsprechenden Hilfsmitteln in Brailleschrift und Sprache übertragen. "Das Problem ist nur, dass die Software ziemlich teuer ist. Zwischen 1.000 Euro und 3.000 Euro können da schon draufgehen", erklärt Carlo. "Dennoch sind die Vorteile dieser Programme enorm", so der Ausbilder Oliver Bauer. "Wir wollen vor allem zeigen, dass ein blinder oder sehbehinderter Mensch mit den entsprechenden Hilfsmitteln in der Lage ist, seinen Beruf allein auszuführen."

Neue Möglichkeiten

Die Verwendung von Computer und Internet bringt gerade für Blinde viele Vorteile mit sich. Carlos Meinung über die Möglichkeiten der neuen Medien ist eindeutig: "Ich finde vor allem das Internet einfach schneller und praktischer. Und ich kann in der Regel auch ziemlich alles nutzen, was ein Sehender auch kann." Durch Computer und Internet werden viele früher oftmals mühsame Arbeitsschritte des alltäglichen Lebens enorm erleichtert. "Online-Banking beispielsweise. Ich kann zwar den Automaten auswendig lernen, um mir Geld abzuheben, aber ich kann alleine kein Überweisungsformular ausfüllen." Während er spricht, gestikuliert der 18-Jährige verstärkt mit seinen Händen. "Ich nutze das Internet privat noch viel mehr und könnte gar nicht mehr darauf verzichten."

Die neuen Medien erleichtern blinden Menschen aber nicht nur alltägliche Erledigungen, sondern eröffnen ihnen auch eine neue Welt der Informationsbeschaffung. Das ehemals beschränkte Angebot an in Brailleschrift übersetzten Publikationen wird durch digitale Dokumente bedeutend erweitert. Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften sind nicht nur für Sehende, sondern zeitgleich auch für Blinde zugänglich. E-Books ermöglichen den beinahe unbeschränkten Zugang zu unzähligen Büchern. Analoge Printprodukte liest Carlo deshalb nur mehr selten. "Ich finde es nach einiger Zeit sehr anstrengend die Brailleschrift zu lesen. Das ist auch bei vielen Leuten so, die ich kenne."

Auch das Handy kann durch ein spezielles Betriebssystem ganz normal genutzt werden. "Die Software liest mir alles vor. So kann ich praktisch durchs ganze Handy navigieren." Zusätzlich gibt es noch weitere Programme, wie beispielsweise zur Texterkennung. Hierbei wird die Kamera des Handys auf einen Text gehalten, der dann von der Software vorgelesen wird.

Blindengerechtes Web

Die Frage nach der Schwierigkeit, als blinder Mensch den Umgang mit dem Computer zu erlernen, tut Carlo mit einem Lächeln ab. "Es kommt immer darauf an, wer vor dem Rechner sitzt. Ob es schwierig ist oder nicht, kann nicht pauschal gesagt werden." Er kenne jedoch viele Leute, die mit der Digitalisierung Probleme haben. Vor allem die teilweise noch immer nicht angewandte Barrierefreiheit im Internet bringt besonders große Schwierigkeiten mit sich. "Es gibt viele Seiten, die nur teilweise oder gar nicht nutzbar sind." Auch er habe manchmal Probleme. "Und das, obwohl ich seit über acht Jahren online bin."

Das Hauptproblem sind fehlende Alternativtexte und Bildunterschriften bei Bildern. Denn während sich Textbestandteile mühelos in Brailleschrift übertragen lassen und Audiofiles problemlos genutzt werden können, hört bei Grafiken aller Art der Spaß für Blinde schnell auf. "Da hab ich dann auch meine Probleme, weil ich Bilder nicht erkennen kann." Und wenn diese dann nicht ausreichend beschrieben sind, bleibt nicht nur der Lautsprecher des PCs stumm, sondern auch die Braillezeile gibt auf – und der Blinde sitzt vor dem Nichts.

Birgit Guggi, Studentin Informationsdesign an der Hochschule der Medien Stuttgart