Wanderung 2009 zur Heilbronner Hütte

Artikel aus der "Heilbronner Stimme" vom 2. Oktober 2009:

Blindes Vertrauen auf 2500 Metern Höhe

VERWALLGEBIET: In den Alpen finden auch Sehbehinderte mit Hilfe von Begleitern einen sicheren Tritt
Von Gerhard Schwinghammer

Sie haben Landschaft gefühlt, Gebirgswege erkundet, Seen und Bäche gehört, Energie gespürt, Berge geschmeckt und Hüttenzauber erlebt: Die sechs Frauen und Männer sind blind oder schwerstsehbehindert. Sie sind von 1051 Metern Meereshöhe auf 2500 Meter gewandert. Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Wanderung hatte Wolfgang Heiler. Der 45-Jährige ist Vorsitzender der Bezirksgruppe Heilbronn im Blinden- und Sehbehindertenverband Ost-Baden-Württemberg (BSVOBW). 2009 besteht seine Organisation 100 Jahre. Zu diesem Anlass hatte er die Wanderung vorgeschlagen. Die Sektion Heilbronn des Deutschen Alpenvereins hat zu den persönlichen Begleitern drei bergerfahrene Hüttenprofis gestellt.

Wanderkugeln helfen: Nach der Übernachtung im familiären Hotel Sonne im Dorfkern von Gaschurn- Partenen geht die dreizehnköpfige Gruppe am anderen Morgen von Partenen (1051) auf bequemen Wegen durchs Hochtal Ganifer (1443 m) und dann über die Baumgrenze zur Verbella Alpe (1938m). Zwei kleine Kugeln an einem sieben Zentimeter kurzen Strick sind die Verbindung zwischen Max Wilhelm und seinem sehenden Begleiter Wolfgang Moser aus Schwaigern. Zwischen Mittel- und Ringfinger geklemmt, erleichtern die Wunderkugeln die Wanderung. Ein sanftes Ziehen steuert Bewegungsabläufe. Für einfachere Wegstrecken stellt der dünne Blindenstock quasi als eine „lange Leine“ die Verbindung her. Nur drei Stunden waren für die ersten 900 Höhenmeter notwendig. Exakt die Zeit, die auf den amtlichen Wegeschildern ausgewiesen ist. Die Begleiter staunen. Der blinde Michael Scharch aus Heilbronn, der mit seiner sehbehinderten Frau Dorothee dabei ist, sagt: „Der Aufstieg war schön und angenehm.“ Nach der kräftigenden Jause an der Verbella-Alpe geht es auf die nächsten 400 Höhenmeter. Ankunft auf der Neuen Heilbronner Hütte in 2320 Metern Höhe – schon wieder eine neue Welt. Treppen, Türen, Möbel stehen anders als daheim. Michael Scharch ertastet mit dem Stock einen Grundriss des Hauses. Spät am Abend spielen Unterhaltungsprofi Paul aus Mathon und sein neuer blinder Freund Max, für den Hüttenwirt Fredi Immler ein Akkordeon findet, flotte Duette. Es wird getanzt. Bei der Wanderung in der Bergwelt des Verwallgebietes werden am dritten Tag neue Grenzen erprobt. Es geht noch einmal über 250 Höhenmeter aufwärts. Hier ist alles drin: Steigungen, schmale Wege, Geröll, Schnee, Wasser, Gefälle. Volle Konzentration ist verlangt. Die Schneefelder sind eine zusätzliche Erschwernis. Alle sind hochkonzentriert. Saisonende 4. Oktober Trifft der blinde Wanderer den nächsten Stein, findet er den sicheren Tritt? Michael Scharch beruhigt die DAV-Begleiter Volker Nowacki und Karl Heiß auf seine Art: „Ich werde irgendwo hintreten, wo Ihr nicht hintreten würdet. Sagt nichts, wenn es nicht wirklich gefährlich wird.“ Abstieg von der Neuen Heilbronner Hütte. Am 4. Oktober endet hier die Saison. Auf dem Heimweg gibt es auf dem Silvretta-Stausee noch eine Boots-Rundfahrt vorbei an rauschenden Bergbächen. Beate Bauer aus Heilbronn nach vier Tagen Bergerlebnis: „Ich bin sehr froh, dass ich es gemacht habe.“ Wolfgang Heiler ergänzt: „Es war ein Genuss, diese Bergstrecken zu laufen und die Grenzen zu erleben – und das in dieser Höhe, in fremder und so malerischer Umgebung.“ Er wird 2010 wieder auf die Hütte wandern. Sein Sohn Markus (19) wird das Erlebte in ein Projekt für den Religionsunterricht münden lassen.