Artikel aus der Heilbronner Stimme vom 16.07.2011

Früher, als kleiner Junge, hat Güngör Bayram noch sehend Fußball gespielt. Mehr als 50 Prozent kann er damals sehen. Dann macht sich die Retinitis Pigmentosa zunehmend bemerkbar, eine Erbkrankheit, die zur Erblindung führt. Irgendwann sieht er die Spieler seiner eigenen Mannschaft nicht mehr. „Dann habe ich aufgehört.“ Damals ist er 14, 15 Jahre alt.

Acht Jahre lang lebt er ohne Fußball, bis er mit 23 Jahren beim Berufsförderungswerk Blindenfußball kennenlernt. Bei einem Test „habe ich gesehen, dass ich ein Talent dazu habe“, erzählt Bayram. Heute spielt der 25-Jährige als Profi in der Bundesliga. Gerade hat er seine erste Saison bei der SG Mainz/Würzburg absolviert; am Samstagnachmittag tritt sein Team auf dem Kunstrasenplatz der TSG Heilbronn zum Freundschaftsspiel gegen den MTV Stuttgart an.

Weil Güngör Bayram noch über einen letzten Sehrest von drei Prozent verfügt, gehört er zu den Spielern, die vor Beginn der Partie künstlich blind gemacht werden: Jedes Auge wird doppelt abgeklebt, darüber kommt eine Schwarzbrille. Die Torhüter sind die Einzigen, die nicht ganz blind sein müssen, sondern sehbehindert oder sogar sehend sein dürfen.

Dicht am Fuß

Anpfiff. Ein schnelles Spiel beginnt, und es sind eher Kleinigkeiten, an denen man erkennt, dass es kein gewöhnliches Fußballspiel ist: daran, dass die Spieler auf dem Weg zum Tor den Ball dicht zwischen ihren Füßen halten, weil sie ihn sonst verlieren würden. Daran, dass Rufe zu hören sind: Rufe, mit denen jeder signalisiert, wann er sich dem ballführenden Spieler nähert (das verhindert Zusammenstöße), und Rufe, die die beiden hinter den Toren positionierten Helfer abgeben, um anzuzeigen, wo das Tor ist.
In aller Stille

In manchen Momenten kommt es vor, dass ein Spieler vom Ball weg statt zu ihm hinläuft: Wenn der Ball ruht, ist er akustisch verschwunden. Dann kommt der Schiedsrichter und „akustisiert“ ihn, wie Kommentator Marius Caspary dem Publikum in aller Stille über Kopfhörer erklärt: Der Schiedsrichter tippt den Ball an, die Schelle im Inneren ertönt, schon geht der Kick weiter.

Maria Uhle (36) und Astrid Gottlob (31) schauen zu, weil sie Sonderschullehrerinnen sind und Blindenfußball aus der Theorie zwar kennen, aber noch nie gesehen haben. Dieter Kunz (67) ist aus Böckingen herübergeradelt, weil er „vor zwölf Jahren selbst eine heftige Augenkrise durchgemacht und zum Glück gut überstanden“ hat. Seither ist es für ihn nicht mehr selbstverständlich, dass er Fahrrad fahren kann, und er freut sich zu sehen, wie Menschen trotz Handicap Sport treiben.

Immer wieder lädt der Heilbronner Blinden- und Sehbehindertenverband zu solchen außergewöhnlichen Aktionen ein, um Sehenden Einblicke in ein Leben ohne Sehsinn zu geben. Markus Heiler (21) sieht so ein Spiel zum ersten Mal. Sein Vater Wolfgang Heiler, Vorsitzender des Blindenverbands, verfolgt den Spielverlauf konzentriert per Kopfhörer. Stuttgart gewinnt 10:2.

Besondere Regeln

„Bitte nicht klatschen“, gilt beim Blindenfußball: Sonst hören die Spieler den Ball nicht mehr. Schellen im Inneren des Balls zeigen den Sportlern, wo er sich gerade befindet. Weil die Orientierung übers Ohr läuft, sind Spielfeld und Tore kleiner als üblich. Wer sich dem ballführenden Spieler nähert, muss rechtzeitig „voy“ rufen, Spanisch für „ich komme“. Wird das versäumt, zählt das Versäumnis als Foul.

Blindenfußball